TISCHGESPRÄCHE

Wie groß ist das Interesse, politische Themen „am Küchentisch“ zu diskutieren? Das herauszufinden, war der erste Antrieb, die Aktion „Tischgespräche“ zu starten. Der zweite, noch viel wesentlichere, Anstoß war die Überzeugung, dass es für die Demokratie lebenswichtig ist, wenn wir uns mit politischen Themen auseinandersetzen. Und mit „wir“ meine ich uns alle, Bürgerinnen und Bürger, die sich nicht mit Schlagzeilen und Parolen abspeisen lassen wollen, sondern sich selbst eine Meinung bilden.

Dazu braucht es zuerst die ernsthafte Auseinandersetzung mit einem Thema, das Gespräch mit sich selbst, und dann den Austausch mit anderen. Das habe ich zu Beginn dieses Jahres versucht, in insgesamt 10 „Tischgesprächen“ vom „Neusiedlersee bis zum Bodensee“. Sogar mit einem Abstecher nach Zürich, weil Auslandsösterreicher zu Recht verlangten, als „10. Bundesland“ einbezogen zu werden.

Von Anfang an war geplant und angekündigt, in jedem Bundesland ein Tischgespräch abzuhalten. Mehr als 300 Gastgeberinnen und Gastgeber haben sich gemeldet, die bereit waren, mich zu sich nach Hause einzuladen. Davon wurden 10 ausgelost, und sie habe ich im Februar und März besucht.

Ich war in Häusern am Land und in Wohnungen in der Stadt. Und immer waren es offene, aufgeschlossene Menschen, die bereit waren, sich auf ein Gespräch einzulassen. Es hat sich schnell gezeigt, dass es vor allem drei Themen sind, die die Menschen beschäftigen: die Bildung, die Integration und das offenkundige Unvermögen der Politik, Probleme anzupacken und auch zu lösen. Auf dem Land kommt die Sorge hinzu, ob und wie es gelingen kann, dass Menschen sich hier eine Existenz aufbauen und nicht in die Stadt abwandern müssen.

Das Schulsystem ist nicht nur mit der großen Herausforderung konfrontiert, so viele Kinder unterrichten zu müssen, deren Umgangssprache nicht Deutsch ist. Es sind auch die großen kulturellen Unterschiede, die Traumatisierung vieler Flüchtlingskinder, durch die sich Lehrerinnen und Lehrer überfordert fühlen. Und es sind die Ablenkungen durch Internet, Handy und Fernsehen, die Unkenntnis selbst einfachster Regeln des Zusammenlebens, die das Unterrichten zur Schwerarbeit machen, und zwar unabhängig davon, aus welchen Familien die Kinder kommen, welchen sozialen, kulturellen und sprachlichen Hintergrund sie haben.

Mehr denn je muss daher in die Auswahl und Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer investiert werden. Sie gestalten unsere Zukunft, und es liegt vor allem auch an ihnen, wie wir in Zukunft miteinander umgehen und leben werden.

Wer mit offenen Augen durch das Land fährt und mit den Menschen spricht, erlebt, wie sehr Flüchtlinge und Zuwanderer für die Menschen ein Thema sind, dem mit Skepsis und manchmal auch mit der Angst begegnet wird, fremd im eigenen Land zu sein. Ich habe einige Menschen getroffen, die Flüchtlinge bei sich zu Hause aufgenommen und betreut haben. Sie haben von schönen Erfolgen berichtet, wie rasch jemand Deutsch gelernt hat, wie sehr er (es waren so gut wie immer Männer) daran interessiert war, eine Ausbildung zu machen oder eine Arbeit zu finden. Und dennoch wurde immer wieder gesagt, man habe auch gemerkt, wie anders die Kultur ist und wie viel an Anstrengung es braucht, und zwar auf beiden Seiten, damit die Menschen hier wirklich ankommen.

Wir müssen uns klar darüber sein, und das war das Ergebnis vieler Gespräche, dass der Staat das nicht leisten kann und die Integration von Flüchtlingen und Zuwanderern als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen werden muss. Es ist aber nicht nur die Hilfe für Flüchtlinge, die es dazu braucht, es ist vor allem auch die Besinnung auf unsere eigenen Werte. Sie wird von den neu Hinzugekommenen oft vermisst. Sie meinen, wie mir ein Gesprächsteilnehmer sagte, sie müssten an ihren eigenen Werten festhalten, denn die Österreicher hätten „keine Kultur“.

Und, bei all den großen Herausforderungen, was macht die Politik? Diese Frage wurde immer wieder gestellt und auch gleich beantwortet: Erstes und wichtigstes Anliegen der Regierungspolitiker ist es, einen Erfolg ihres Regierungspartners zu verhindern. Das Gemeinwohl bleibt dabei auf der Strecke. Die Hoffnung, dass sich das in absehbarer Zeit ändern könnte, ist gering.

Immer wieder habe ich das Modell einer Bürgerversammlung zur Diskussion gestellt. Einer Versammlung, deren Mitglieder ausgelost werden und die sich mit Themen befasst, die für unser künftiges Zusammenleben von ganz entscheidender Bedeutung sind: Klimawandel, Generationengerechtigkeit, Digitalisierung, um nur einige zu nennen. Eine Bürgerversammlung, die Fachleute hört und eine wohlbegründete Empfehlung für das Parlament ausarbeitet – so wie derzeit die irische Bürgerversammlung.

Bei uns hingegen bleiben die wichtigen Zukunftsthemen ausgeklammert. Wir befinden uns in einem permanenten Wahlkampf, in dem sich die Politik nach den Umfrageergebnissen richtet und nicht nach dem, was für das Land notwendig ist.

Für das Land notwendig ist, und da sind sich viele meiner Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner einig, ein gemeinsames Vorgehen, eine gemeinsame Anstrengung, die nicht nach dem Nutzen für die eigene Partei fragt, sondern nach dem Nutzen für das Land. Denn es darf doch nicht sein, dass Österreich aus Kleingeistigkeit und Kurzsichtigkeit weit unter seinen Möglichkeiten bleibt und seine Zukunft verspielt.

Um das zu verhindern, muss ein sprichwörtlicher Ruck durch das Land gehen. Dass das möglich ist, davon bin ich überzeugt. Genauso überzeugt bin ich, dass jeder in seinem Bereich etwas dazu beitragen kann.

Beginnen können wir damit, dass wir unsere Werte auch tatsächlich leben. Das sind vor allem gegenseitiger Respekt, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung, Leistungsbereitschaft und Solidarität. Eine Gesellschaft, die ihre Werte lebt, wird auch Politikerinnen und Politiker hervorbringen, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen und ihrer Verantwortung bewusst sind. Die „Tischgespräche“ haben mich darin bestärkt, mich mit aller Kraft dafür einzusetzen, dass das kein schöner Traum bleibt, sondern Wirklichkeit wird.