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Begriffsarbeit. Zu Werten und Kultur

25. August 2017

“Wir müssen unsere Werte behalten, denn die Österreicher haben keine Kultur“. Das ist kein erfundener Ausspruch, sondern der Satz ist wirklich so gefallen. Und zwar in einem Gespräch zwischen zwei jungen Leuten, die beide in Österreich aufgewachsen sind, aber ausländische Wurzeln haben. Als ich davon gehört habe, war ich zuerst schockiert. Und gleichzeitig habe ich mich auch geärgert. Beide besuchen in Österreich die Schule, sie gehen ins Gymnasium, sie nützen die Möglichkeiten, die ihnen unser Land bietet.

Doch bei längerem Nachdenken hat sich mein Ärger mehr oder weniger verflüchtigt, und ich bin sehr nachdenklich geworden. Ist es denn wirklich unverständlich, dass junge Leute mit ausländischen Wurzeln so denken? Denn was ist das denn, unsere Kultur? Welche Werte sind uns wichtig? Welche Werte leben wir?

Wenn man drei Leute danach fragt, bekommt man vielleicht fünf Antworten – wenn man überhaupt eine Antwort bekommt und nicht bloß ratlos angeschaut wird. Es kann gut sein, dass jemand die christlich-abendländischen Werte erwähnt, aber auf Nachfrage nicht sagen kann, welche Werte das denn konkret sein sollen. Möglicherweise ist aber auch bloß die Frage unglücklich formuliert, und man müsste fragen, was ist uns denn wichtig, wonach richten wir unser Leben aus?

Denn darum geht es eigentlich. Es genügt ja nicht, von Werten zu reden und nicht danach zu leben. Also, sprichwörtlich gesagt, Wasser zu predigen und Wein zu trinken. Das ist eine Versuchung, der wir nur allzu leicht erliegen.

Wenn ich mir überlege, was mir wichtig ist, wonach ich mein Leben auszurichten versuche, dann steht an erster Stelle gegenseitiger Respekt. Gegenseitiger Respekt heißt, andere Meinungen, Ansichten und Lebensformen gelten zu lassen. Nicht davon auszugehen, im Besitz der alleinigen Wahrheit und der allein richtigen Lebensart zu sein. Das gilt für uns, die wir seit Generationen in diesem Land leben, genauso wie für die Zuwanderer. Wie verletzend es sein kann, wenn Zuwanderern unterstellt wird, keine Werte zu haben und in Wertekursen erst lernen zu müssen, was Werte überhaupt sind, habe ich vor wenigen Tagen erlebt. Eine junge Frau mit türkischen Wurzeln, geboren und aufgewachsen in Österreich, hat ganz erregt darauf gepocht, nicht als jemand hingestellt zu werden, der keine Werte hat.

Wichtig sind für mich auch Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Selbstbestimmt ist unser Leben, wenn es uns gelingt, im Denken, Fühlen und Wollen die zu sein, die wir sein möchten, das heißt, im Einklang mit unserem Selbstbild zu leben. Das ist eine Lebensaufgabe, wenn nicht die Lebensaufgabe. Selbstbestimmung und Eigenverantwortung gehören untrennbar zusammen. Wenn ich selbst über mein Leben bestimme, muss ich auch die Verantwortung dafür tragen, was ich daraus mache.

Wichtig sind für mich schließlich auch Leistungsbereitschaft und Solidarität. Nur wenn wir bereit sind, uns mit unseren Fähigkeiten einzubringen und das zu leisten, was uns möglich ist, kann eine solidarische Gesellschaft funktionieren. Denn Solidarität bedeutet gegenseitiges Geben und Nehmen; ein nur einseitiges Nehmen ist damit ebenso wenig vereinbar wie ein nur einseitiges Geben. Beides macht Menschen abhängig. Und wer abhängig ist, kann über sein Leben nicht mehr wirklich selbst bestimmen.

Wenn wir diese Werte annehmen und auch leben – gegenseitigen Respekt, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung, Leistungsbereitschaft und Solidarität –, dann ist damit auch die Grundlage für eine erfolgreiche Integration geschaffen. Denn was folgt daraus: Wer bei uns leben will, darf nicht Menschen anderer Religion, anderen Geschlechts oder einer anderen sexuellen Orientierung als minderwertig betrachten und behandeln. Er muss die Freiheit jedes Menschen achten, über sein Leben selbst zu bestimmen und keinem Zwang bei der Partnerwahl oder sonst bei der Gestaltung seines Lebens unterworfen zu sein. Und er muss bereit sein zu lernen und zu arbeiten und darf sich nicht darauf verlassen, vom sozialen Netz aufgefangen zu werden.

 

Dieser Text ist im Rahmen der Kolumne “Einsprüche” am 17.Juni in der Kleinen Zeitung erschienen.