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Politik ist kein Beruf, sondern Dienst an der Gemeinschaft

25. August 2017

Wohin entwickelt sich Österreich? Gelingt es, die europäische Idee und die Demokratie mit Leben zu erfüllen, oder stehen wir vor der Rückbesinnung auf rein nationale Interessen oder geht der Zug gar in Richtung autoritäres System? Manche meinen, der Zug sei längst abgefahren. Ich glaube das nicht. Und das nicht nur deshalb, weil ich grundsätzlich ein optimistischer Mensch bin, sondern vor allem auch deshalb, weil ich darauf vertraue, dass esgelingen wird, den Menschen eine Alternative zu einem Gesellschaftsmodell zu bieten, dasden Herausforderungen einer globalisierten Welt durch Rückbesinnung auf nationale Interessen begegnen will.

Wie könnte diese Alternative aussehen?

Eine Antwort auf diese Frage setzt voraus, dass man sich die Schwachstellen des derzeitigen Systems bewusst macht. Was stört die Menschen und veranlasst sie, ihre Hoffnungen in eine Politik zu setzen, die vorrangig nationale Interessen schützen will und auf Abschottung setzt? Da ist zuerst einmal das Gefühl, den Regierenden gehe es nicht darum, Probleme gemeinsam zu lösen, sondern sie wollten in erster Linie verhindern, dass der jeweils andere irgendeinen Erfolg verbuchen kann. Hervorgerufen und genährt wird das Gefühl durch ständiges Parteienhickhack und die simple Tatsache, dass zwar Reformen immer wieder groß angekündigt werden – Bildungsgipfel, Pensionsgipfel, Verwaltungsreform, um nur einige zu nennen –, die Ergebnisse sich aber bei näherem Hinsehen oft nur als eher kosmetische Korrekturen entpuppen. Die großen Brocken bleiben unangetastet und damit auch die Besitzstände des jeweiligen Klientels, was ja auch der wesentliche Grund dafür ist, dass schmerzhafte Eingriffe gar nicht erst versucht werden.

Ein weiterer Grund liegt darin, dass sich die Regierenden scheuen, die Probleme offen anzusprechen. Das beste Beispiel dafür ist die Flüchtlingskrise. Kein führender Politiker der Regierungsparteien hat im Herbst des vergangenen Jahres mit auch nur einem Wort Verständnis dafür gezeigt, dass Ängste entstehen, wenn eine große Zahl von Menschen unkontrolliert und unregistriert ins Land kommen. Man hat das Feld denen überlassen, die immer schon vor einer „Überfremdung“ gewarnt hatten. Und dann, als die öffentliche Meinung endgültig gekippt war, hat die Regierung durch martialische Rhetorik die Ängste noch verstärkt. Sie hat damit nicht verlorenes Terrain zurück gewonnen, sondern jene bestätigt, die sich von Anfang an gegen die „Willkommenskultur“ ausgesprochen hatten.

Dazu kommt, dass wir zwar in einer repräsentativen Demokratie leben, die Menschen sich aber nicht vertreten fühlen. Und auch die Abgeordneten sehen sich in erster Linie der Partei verpflichtet, die sie auf die Liste gesetzt hat, und nicht den Wählerinnen und Wählern.

Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen?

Um dieser weitverbreiteten Unzufriedenheit und Unsicherheit entgegenzuwirken, braucht es zuerst ein mit breiter Bürgerbeteiligung entwickeltes Narrativ, eine Erzählung, wo Österreich in fünf oder zehn Jahren stehen soll.

Am Beginn dieses Dialogs könnten folgende Fragen stehen: Wollen wir eine weltoffene Gesellschaft sein, die ihre Werte lebt, aber auch fremde Lebensentwürfe anerkennt, wenn sie diese Werte respektieren? Wollen wir eine Gemeinschaft bilden, in der wir uns in andere hineinversetzen, und versuchen, die Welt auch mit den Augen anderer zu sehen? Sind wir bereit, einander zu vertrauen, um gemeinsame Vorhaben zu entwickeln und umzusetzen? Toleranz, Empathie und Vertrauen können die Grundlage dafür sein, kurzfristige und oft auch kurzsichtige eigene Interessen zurückzustellen und langfristige gemeinschaftliche Ziele zu entwickeln.

Dazu braucht es einen neuen politischen Stil. Einen politischen Stil, der sich nicht darauf beschränkt, Schwächen des politischen Gegners anzuprangern, sondern sich dadurch auszeichnet, die eigenen Stärken herauszustreichen. Dazu müssen solche Stärken natürlich auch vorhanden sein, und der politische Wettbewerb muss mit Inhalten und nicht bloß mit Taktik geführt werden. Nachhaltigen Erfolg kann ein solcher Wettbewerb nur bringen, wenn er von Ehrlichkeit, Mut und Verantwortung bestimmt ist. Denn die Menschen spüren, wenn ihnen etwas vorgemacht wird, wenn auch nicht alle und auch nicht sofort.

Doch Abraham Lincolns Ausspruch gilt noch immer: Man kann alle Leute einige Zeit zum Narren halten und einige Leute allezeit; aber niemals alle Leute allezeit. Es geht aber nicht nur darum, auf bewusstes Täuschen zu verzichten; die Menschen haben es auch satt, mit Politsprech abgespeist zu werden. Sie wollen, dass nicht nur geredet, sondern auch etwas gesagt wird. Und zwar so, dass es auch verstanden werden kann. Das kostet zwar Zeit und Mühe, ist aber auch eine Frage des Respekts vor den Bürgerinnen und Bürgern.

Respekt vor und Verbundenheit mit den Bürgerinnen und Bürgern sind zwei Seiten derselben Medaille. Beides gelingt Politikerinnen und Politiker am ehesten dann, wenn sie sich nicht als Teil einer separaten „classe politique“, einer Politikerkaste, sehen. Die Neigung dazu ist verständlich, die damit verbundenen Gefahren sind aber offenkundig. Fehlende Selbstkritik, weil nur von Jasagern umgeben, Selbstüberschätzung und Selbsttäuschung sind Versuchungen, denen politisches Personal nur zu oft erliegt.

Wie kann dem entgegengewirkt werden?

Politische Tätigkeit muss als Dienst an der Gemeinschaft verstanden werden, der als Lebensabschnittsaufgabe übernommen wird. Und zwar mit der Einstellung, etwas bewirken zu wollen, selbst auf die Gefahr hin, nicht wiedergewählt zu werden. Das setzt natürlich voraus, dass politisches Geschick nicht die einzige Qualifikation ist, die jemand mitbringt. Es setzt aber auch voraus, dass politisches Engagement wertgeschätzt wird. Je größer die Wertschätzung, desto eher werden die Besten bereit sein, sich das anzutun. Denn letztlich stimmt ja, was immer wieder gesagt wird: Wir haben die Politikerinnen und Politiker, die wir verdienen.