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Plädoyer für ein verantwortungsvolles Miteinander

25. August 2017

Leben wir in einer gespaltenen Gesellschaft? Die Spaltung der Gesellschaft ist immer wieder ein Thema, wenn über Populismus gesprochen wird. Was heißt das aber überhaupt, eine gespaltene Gesellschaft? Meist ist damit der Gegensatz zwischen Arm und Reich und zwischen Alteingesessenen und Zuwanderern gemeint. Es gibt aber auch andere Bereiche, in denen sich Menschen verschiedenen Gruppen, ja Klassen, zugehörig fühlen. Das ist mir vor wenigen Tagen wieder bewusst geworden.

Ein junges Mädchen, attraktiv und eloquent, sprach in einer Diskussion von ihren Erfahrungen mit anderen jungen Leuten. Sie hat, anders als ihre Schwester, nicht studiert, sondern eine Tourismusschule besucht. Jetzt arbeitet sie in einem Hotel im Service. Wann immer sie Studentinnen und Studenten trifft und sagt, dass sie im Service arbeitet, bricht das Gespräch jäh ab. Sie kann sich das nur damit erklären, dass die Arbeit in der Gastronomie als minderwertig angesehen wird, als etwas für Ausländer. Eine ähnliche Erfahrung machen Arbeiter: Wenn Reparaturarbeiten an Gehsteigen oder darunter liegenden Leitungen notwendig sind, wird oft eine Art Zelt aufgestellt, unter dem gearbeitet wird. Dass dort jemand arbeitet, wird meist gar nicht wahrgenommen. Wenn die Arbeiter aber bemerkt werden, dann oft auf eine sehr abschätzige Art. Ein Arbeiter hat gemeint, er werde als Mensch zweiter Klasse gesehen.

Dieses Herabschauen auf andere ist keine neue Entwicklung. Was sich vielleicht geändert hat, ist, dass heute mehr Menschen meinen, auf andere herabschauen zu können. Sie haben studiert und brauchen sich nicht die Hände schmutzig zu machen, um ihr Geld zu verdienen. Wer körperlich arbeitet, tut das in ihren Augen, weil es bei ihm für etwas Besseres nicht gereicht hat. Es ist daher kein Wunder, dass Handwerksbetriebe oft große Schwierigkeiten haben, geeignete Lehrlinge zu finden. Und dass es bei Bewerbungen ein Missverhältnis gibt: Einer Bewerbung um eine Lehrstelle bei einem Handwerker steht eine Vielzahl von Bewerbungen für eine Ausbildungsstelle in einem Büro gegenüber.

Das ist alles andere als erfreulich. Und zwar aus mehreren Gründen: Auch in Zukunft werden Leitungen zu reparieren, Straßen zu sanieren und Gäste in Restaurants zu bedienen sein.

Wer wird bereit sein, das zu tun, wenn er das Gefühl hat, als Mensch zweiter Klasse behandelt zu werden? Und was bedeutet es für den Zusammenhalt einer Gesellschaft, wenn Menschen verschiedenen Klassen zugeordnet werden und wenig bis gar nichts miteinander zu tun haben wollen?

Wir müssen uns daher fragen, was wir tun können, um das zu ändern. Eine Teilnehmerin an der oben erwähnten Diskussion hat gemeint, ein soziales Jahr für alle jungen Menschen könnte helfen. Das hat etwas für sich, denn oft ist Geringschätzung eine Folge geringer Kenntnis und Erfahrung. Ich fürchte aber, dass das Problem tiefer liegt. Ist nicht entscheidend, wie wir einander in der Schule, im Beruf, ja überhaupt im täglichen Leben begegnen, ob wertschätzend oder von oben herab? Und müssen wir nicht alle bei uns selbst beginnen?

Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Art und Weise, wie in öffentlichen Diskussionen miteinander umgegangen wird. Denn das Verhalten bekannter Persönlichkeiten hat Vorbildcharakter. Ob Argumente auf einer sachlichen Ebene ausgetauscht werden oder ob versucht wird, durch persönliche Angriffe Punkte zu sammeln, hängt auch davon ab, wie das Publikum darauf reagiert. Die Reaktion des Publikums wiederum wird stark davon bestimmt, wie Politikberater das Verhalten der Teilnehmer kommentieren. Und die sehen darin oft weniger die inhaltliche Auseinandersetzung als vielmehr eine Art Wettkampf, bei dem gewinnt, wer mehr Tricks auf Lager hat und andere damit außer Gefecht setzt. Es ist zu fürchten, dass die kommenden Diskussionen dafür wieder Anschauungsmaterial liefern werden. Aber vielleicht denkt der eine oder andere doch darüber nach, dass er mit seinem Verhalten auch dazu beiträgt, wie Menschen in unserem Land überhaupt miteinander umgehen.

 

Dieser Text ist im Rahmen der Kolumne “Einsprüche” am 17.Juli 2017 unter dem Titel “Ist die Gesellschaft gespalten?” in der Kleinen Zeitung erschienen.